Faktencheck: Laufzeitverlängerung und Endlagersuche
Der Atomausstieg ist zentrale Grundlage für die 2017 neugestartete Endlagersuche in Deutschland. Gleichzeitig ist die Endlagersuche der notwendige letzte Schritt zur Vollendung des Atomausstiegs.
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat in Deutschland eine neue Debatte über die Energieversorgung ausgelöst. In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Verlängerung der Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke ins Spiel gebracht.
Zu unterscheiden ist dabei zwischen dem sogenannten Streckbetrieb und einer tatsächlichen Laufzeitverlängerung. Streckbetrieb bedeutet, dass die Kraftwerke noch so lange weiterliefen, bis die bereits vorhandenen Brennelemente endgültig aufgebraucht sind. Bei einer Laufzeitverlängerung kämen dagegen zusätzliche Brennelemente zum Einsatz.
In beiden Fällen müsste das Atomgesetz geändert werden. Denn laut Gesetz erlischt für die drei sich noch im Betrieb befindlichen Atomkraftwerke Ende des Jahres 2022 die Berechtigung zum Leistungsbetrieb
Hohe Kosten, viele Risiken
Im Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken hat die Bundesregierung im März 2022 ein Weiterbetrieb über das Jahresende hinaus angesichts der aktuellen Gaskrise abgelehnt. Sowohl der Streckbetrieb als auch eine Laufzeitverlängerung würden nicht nur sehr hohe wirtschaftliche Kosten verursachen, sondern auch verfassungsrechtliche und sicherheitstechnische Risiken mit sich bringen.
Welche technischen Anpassungen notwendig sind, um die nukleare Sicherheit eines in Betrieb befindlichen Atomkraftwerks kontinuierlich zu verbessern und an die neuesten Sicherheitsentwicklungen anzupassen, wird mithilfe einer periodischen Sicherheitsüberprüfung bestimmt. Mit Blick auf die Abschaltung Ende 2022 wurde diese Sicherheitsüberprüfung zuletzt ausgesetzt. Weitere Informationen zu Fragen der Sicherheit bietet die Seite Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke? auf base.bund.de.
Stresstest des Stromnetzes
Von Mitte Juli bis Anfang September 2022 führten die vier Übertragungsnetzbetreiber im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einen Stresstest der Stabilität des Stromnetzes durch. Im Zuge dessen prüfte die Bundesregierung eine mögliche Laufzeitverlängerung eines oder mehrerer Atomkraftwerke.
Eine stundenweise krisenhafte Situation im Stromsystem im Winter 2022/23 ist laut BMWK zwar sehr unwahrscheinlich, kann aktuell aber auch nicht vollständig ausgeschlossen werden. Aus Gründen der Vorsorge brauche es ein Bündel von Maßnahmen, um diese Netzengpässe zu vermeiden. Zur Absicherung für den Notfall im Winter 22/23 sollten daher die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim als AKW-Einsatzreserve zur Verfügung stehen und im Bedarfsfall wieder in Betrieb gehen. Weitere Informationen des BMWK zum Stresstest.
Folgen für die Endlagersuche
Im Falle einer Laufzeitverlängerung stünde auch die aktuelle Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle unter neuen, möglicherweise erschwerten Vorzeichen.
Der 2011 beschlossenen Atomausstieg konnte den jahrzehntelangen Streit um die Nutzung der Atomkraft zur Energiegewinnung weitgehend beenden. Denn seitdem gilt die Endlagersuche nicht mehr als Voraussetzung für den Weiterbetrieb oder den Neubau von Atomkraftwerken. Der Grundkonflikt um das Pro oder Contra der Atomenergienutzung überlagerte nicht mehr die Debatte um die Suche nach einem Endlager. So wurde es möglich den Weg frei zu machen für ein breit getragenes Gesetz, das die Suche nach einem Endlager regelt.
Rückkehr alter Konflikte?
Eine Laufzeitverlängerung entzöge dieser einmaligen Kooperation womöglich die Grundlage. Denn die Endlagersuche gälte dann wieder als Voraussetzung für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Auch ließe eine Laufzeitverlängerung bei Einsatz neuer Brennstäbe zusätzliche Abfallmengen entstehen, die zwischengelagert, transportiert und endgelagert werden müssten. Zudem wäre nicht mehr eindeutig definierbar, welche Anforderungen ein künftiges Endlager hinsichtlich der Größe erfüllen müsste – Faktoren, die die Glaubwürdigkeit des Verfahrens und die Akzeptanz eines zukünftigen Standortes unterlaufen könnten.